Allgemeine Grundlagen Bussysteme
Im Teil Bussysteme werden wir die wichtigsten heute im Fahrzeug befindlichen Bussysteme CAN, LIN, FlexRay und im Infotainmentbereich das Bussystem MOST besprechen. Am Ende dieses Kapitels werden wir noch ganz kurz einen Rückblick auf die zwar inzwischen veralteten aber immer noch häufig zu findenden Systeme K-Line und SAE 1850 geben.
Beginnen wollen wir mit einem Abschnitt von Grundlagen, die für das weitere Verständnis der folgenden Kapitel wichtig sind.
Allgemein
Wenn wir über Bussysteme sprechen, so meinen wir im ISO/OSI-Schichtenmodell, das wir bereits aus der Einführung kennen, die Ebenen 1 und 2 (Physical- und Data-Link-Layer), also die Schichten des allgemeinen Kommunikationsmodells, siehe Abbildung. Sie beschäftigen sich mit den Fragen, welche Signalleitungen und Pegel verwendet und wie die Bits auf den Leitungen kodiert werden. Wie aus den Bits Botschaften zusammengesetzt und wie diese Botschaften adressiert werden. Außerdem wie geregelt wird, wer über den Kommunikationsbus kommunizieren darf, d. h. wer Botschaften versenden kann und wie Fehler erkannt und gegebenenfalls korrigiert werden.
ISO/OSI-Schichtenmodell für Bussysteme |
Wenn wir die Elektronikarchitektur eines modernen Fahrzeugs analysieren, so finden wir verschiedene Anwendungsbereiche, die sogenannten Domänen vor. In jeder Domäne kommt ein eigenes Bussystem zum Einsatz. Die verschiedenen Bussysteme sind über ein zentrales Gateway miteinander gekoppelt, siehe Abbildung. Zum einen haben wir im Bereich des Antriebsstrangs und der Fahrwerkselektronik den sogenannten Powertrain. Hier kommt klassisch CAN und in einer Hochgeschwindigkeitsvariante zunehmend auch FlexRay zum Einsatz.
Kommunikation im Fahrzeug |
Zum anderen haben wir den Bereich der Komfort- und Karosserieelektronik. Hier dominiert ebenfalls CAN, allerdings in einer Variante mit niedrigerer Busgeschwindigkeit und an vielen Stellen ergänzt durch Sub-Bussysteme auf Basis von LIN.
Für den Bereich des Infotainments haben wir heute – jedenfalls in Oberklassefahrzeugen – MOST im Einsatz. In Mittelklassefahrzeugen findet sich an dieser Stelle gelegentlich auch noch CAN.
Für die Diagnose ist CAN der vom Gesetzgeber heute vorgeschriebene Standard. Vor einigen Jahren war es noch die K-Line bzw. J1850 in den USA. Zusätzlich finden wir bei einigen Oberklassefahrzeugen an dieser Stelle zunehmend auch einen Ethernet-Anschluss (DoIP = Diagnostics over Internet Protocol), um den Download/Update von Software innerhalb der Fertigung und in der Werkstatt zu beschleunigen.
Anforderungen an Bussysteme
Wenn eine derartige Elektronikarchitektur für ein Fahrzeug festgelegt wird, müssen neben den gewünschten Funktionen natürlich auch eine Reihe von weiteren Anforderungen erfüllt werden.
Da haben wir zum einen das Thema Kosten, das durch die Anzahl der Steuergeräte, aber nicht zuletzt durch die Anzahl der Leitungsverbindungen und der notwendigen Stecker und Steckkontakte bestimmt wird.
Da Fahrzeuge heute zunehmend mit individuell kombinierbaren Sonderausstattungen versehen werden, besteht zum anderen der Wunsch, um möglichst wenig Änderungsaufwand in der Fertigung. Damit, wenn unterschiedliche Geräte mit verschiedenen Funktionen kombiniert werden, in den Steuergeräten weder Hard- noch Softwareänderungen notwendig sind.
Das Thema Zuverlässigkeit elektronischer Systeme ist ebenfalls eines der „heißen Eisen“ in der Gesamtentwicklung. Deshalb ist es besonders wichtig, dass diese Geräte unempfindlich gegen äußere Einwirkungen sind, wie beispielsweise den Betrieb eines Mobilfunktelefons und, falls es doch zu Störungen kommt, dass fehlerhafte Datenübertragungen erkannt und in ihren Auswirkungen beschränkt werden.
Weiterhin sollte die verfügbare Datenrate ausreichend dimensioniert werden, um noch zukünftige Erweiterungen im selben System unterbringen zu können.
Aufgabenfelder
Weshalb haben wir nun im Fahrzeug unterschiedliche Bussysteme? Einfach deshalb, weil wir unterschiedliche Aufgabenfelder abzudecken haben und die Anforderungen dieser Aufgabenfelder sich mit einem einzigen Bussystem nicht kostengünstig realisieren lassen. Wir haben zum einen in der On-Board Kommunikation – also zwischen den Steuergeräten im normalen Fahrbetrieb – eine Kommunikation, die Steuer- und Regelaufgaben zu bedienen hat. Dort haben wir hohe bis sehr hohe Echtzeitanforderungen und die Sicherheit dieser Kommunikation spielt eine große Rolle. Die übertragene Datenmenge bei dieser Kommunikation von Steuergerät zu Steuergerät ist eher gering. Die Wiederholrate dagegen – und vor allem die Anforderung an die zeitliche Genauigkeit der Wiederholrate ist aber hoch. Dies sind die Domänen für CAN, LIN und FlexRay.
Als zweite On-Board Kommunikationsebene haben wir das Infotainment (Unterhaltungsebene), eine Kommunikation, die zwischen Steuergerät und Fahrgast stattfindet, also typischerweise Radio-, Audio- oder Navigationssystem. Dort haben wir durchaus – gerade wenn man an Navigationsdaten denkt – sehr hohe Datenraten. Die Sicherheitsaspekte spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Das ist eine Domäne des MOST-Systems.
Aufgabenfelder |
Für die Off-Board Kommunikation – also die Kommunikation zwischen Fahrzeug und externen Testern – geht es um das Thema Fehlerspeicher lesen, Parameter ändern, Stellglieder ansteuern, Flash-Programmierung etc. Diese Schnittstelle wird in der Werkstatt, der Fertigung und der Entwicklung eingesetzt.
Für die Werkstatt müssen gesetzliche Vorgaben (z.B. OBD) eingehalten werden. Der Zugang zum Fahrzeug sollte eingeschränkt und geschützt sein. In der Produktion ist jede Sekunde teuer. Daher spielt hier der Datendurchsatz eine wichtige Rolle. In der Entwicklung möchte man im Gegensatz zur Werkstatt sehr schnell und vor allem ungeschützt an jede Stelle der Elektronik des Fahrzeugs gelangen. Das heißt, Einschränkungen oder Zugriffsschutz, die für die Werkstattdiagnose enorm wichtig sind, spielen hier überhaupt keine Rolle. Deshalb werden hier auch andere Protokolle auf demselben Bussystem verwendet, siehe CAN Kalibrierprotokolle CCP und XCP.
Anwendungsbereiche und Anforderungen
In nachfolgender Tabelle haben wird versucht, die unterschiedlichen Anforderungen für die einzelnen Einsatzgebiete etwas weiter zu detaillieren. Wir bewerten die Einsatzgebiete bezüglich der typischerweise geforderten Botschaftslängen – also der Menge an Daten, die in einer einzelnen Botschaft übertragen werden müssen, anhand der Wiederholrate der Botschaften – die im Wesentlichen die Bitrate des Bussystems bestimmt und schließlich in Bezug auf die Sicherheitsanforderungen an die Datenübertragungen sowie den jeweiligen Kosten.
Anwendungsbereiche und Anforderungen |
Beginnen wir bei der On-Board Kommunikation im Very-Low-Speed Bereich. Als Beispiel für eine typische Karosserieelektronikanwendung ist hier der Fensterheber aufgeführt. Dort hat man wenige Bits zu übertragen und die Übertragung findet nur bei Bedarf und selten statt. Es genügt hierfür ein Low-Cost-Bussystem wie LIN mit einer Datenrate von lediglich 20 kbit/s.
Für Anwendungen im Karosseriebereich, die etwas höhere Anforderungen stellen, gibt es den Low-Speed-CAN mit einer Datenrate von 125 kbit/s. Ein Einsatzbeispiel dafür wäre eine Klimaanlage, bei der auch Messdaten ausgetauscht werden, die einen gewissen Echtzeitaspekt berücksichtigen müssen. Die typische Motorsteuerungsanwendung hingegen oder eine ABS- oder ESP-Anwendung kommen mit diesen niedrigen Datenraten nicht mehr zurecht. Dort kommt ein High-Speed-CAN-Bus mit ungefähr 500 kbit/s zum Einsatz.
Im Bereich der Fahrwerksteuerungen reicht selbst diese Datenrate nicht mehr aus und so haben die neuesten Fahrzeuge, insbesondere die Fahrzeuge, die eine sehr ausgeklügelte Fahrwerksteuerung verwenden, bereits das relativ neue Bussystem FlexRay im Einsatz.
Noch höhere Datenraten und -mengen, aber geringere Sicherheitsanforderungen finden wir im Infotainment-Bereich. Dort hat sich MOST als Bussystem etabliert. Es hat Datenraten von 25, 50 und neuesten auch 150 Mbit/s.
Bei der Off-Board Kommunikation dagegen hat die Datenrate zumindest im Werkstattbereich eine eher untergeordnete Bedeutung. Auch die Kosten sind, mindestens für den Teil, der sich nicht im Fahrzeug befindet, nicht so entscheidend. Dort finden wir heute CAN und vereinzelt noch die bereits erwähnten veralteten Bussysteme K-Line und J1850. In den nächsten Jahren wird hier Ethernet eine immer größere Rolle spielen, da immer größere Datenmengen zeitnah in das Fahrzeug übertragen werden müssen.
Klassifikation nach Bitrate
Wenn Sie sich mit Bussystemen im Fahrzeug beschäftigen, hören Sie immer wieder Bezeichnungen wie Class-A oder Class-C Bussystem. Diese Klassifikation stammt von der SAE und wurde eingeführt, um Bussysteme nach ihrer Bitrate einordnen zu können. Die Grenzen zwischen den einzelnen Klassen sind aber fließend. Ein typisches Class-A Bussystem liegt im Bereich von unter 25 kbit/s. LIN ist ein typischer Vertreter dieser Bussysteme und reicht aus heutiger Sicht nur für einfache Aufgaben in der Karosserieelektronik aus.
Klassifikation nach Bitrate |
Ein Class-B Bussystem für anspruchsvollere Aufgaben in der Karosserieelektronik – die Domäne des Low-Speed-CAN – reicht ungefähr bis 125 kbit/s. Die Class-C Bussysteme, wie sie im Antriebsstrangbereich und im Fahrwerksbereich heute auch für die Diagnose üblich sind, reichen bis ungefähr 1 Mbit/s. In diesen Bereich fällt der High-Speed-CAN, der üblicherweise mit 500 kbit/s zum Einsatz kommt.
Darüber liegen die Class-C+ Bussysteme – eine Bezeichnung, die nicht offiziell von der SAE stammt. In diesen Bereich wird FlexRay mit heute 10 Mbit/s eingeordnet. Als letztes kommen die Infotainment-Systeme. Der Hauptvertreter dieser Systeme, MOST, hat eine Datenrate von bis zu 150 Mbit/s.
Entwicklung Bussysteme im Fahrzeug
In der folgenden Abbildung sehen Sie die historische Entwicklung der Bussysteme. Auf der horizontalen Achse befindet sich das Erscheinungsjahr, in dem ein bestimmtes Bussystem zum ersten Mal im Serieneinsatz zu sehen war. Auf der vertikalen Achse sieht man die Bitrate als Maßstab für die technische Leistungsfähigkeit eines Bussystems. Die Kreisflächen repräsentieren eine grobe Schätzung der Kosten für einen Busknoten.
Entwicklung Bussysteme im Fahrzeug |
Einerseits sehen Sie hier eine ganze Reihe von Bussystemen, die mittlerweile entweder bereits wieder veraltet sind, oder überhaupt nie wirklich im Serieneinsatz waren, wie beispielsweise der A-Bus. Andererseits sehen Sie die heute im Einsatz befindlichen Bussysteme, und wo sie hier in dieser Landschaft angeordnet sind: CAN in der High- und Low-Speed-Variante, LIN, erst vor wenigen Jahren erschienen und etwas kostengünstiger als Low-Speed-CAN sowie FlexRay, natürlich teurer aber auch deutlich leistungsfähiger als CAN ist. Noch weiter oben angesiedelt, leider auch bei den Kosten, ist das MOST-Bussystem.
Protokollstapel (Protocol Stack)
Zum Abschluss des Grundlagenkapitels wollen wir noch auf den Aufbau eines Protokollstapels eingehen. Nehmen wir an, eine Anwendung möchte eine Reihe von Informationen verschicken, z. B. Informationen über die aktuelle Motordrehzahl, die Motortemperatur, den Zustand der Zündung etc. Dann übergibt die Anwendung diese Signale oder Informationen an den Application-Layer des Protokollstapels. Dies ist praktisch etwas Software im Steuergerät, die für das Versenden und Empfangen von Botschaften zuständig ist. Dieser Application Layer des Protokollstapels packt jene Signale als Nutzdaten in eine Botschaft und versieht sie mit einer Reihe von weiteren Informationen, z. B. dass es sich um Motordrehzahl, Zündungszustand usw. handelt. Eventuell fügt er am Ende noch eine Prüfsumme hinzu, die der Fehlerüberwachung dient. Anschließend übergibt er diese Gesamtbotschaft (PDU – Protocol Data Unit) an den Transport-Layer.
Protokollstapel (Protocol Stack) |
Angenommen die Botschaft ist zu lang für einen Frame, dann ist es die Aufgabe des Transport-Layers diese große Botschaft in mehrere kleine Botschaften zu segmentieren. Diese kleineren Botschaften bekommen dann von der Transportschicht einen zusätzlichen Header und evtl. auch einen zusätzlichen Trailer. Dieser gibt Auskunft, ob es der erste, der zweite, der dritte Teil etc. einer größeren Botschaft ist. Auf diese Weise ist der Empfänger in der Lage, aus den vielen kleinen Botschaften, die größere Botschaft auch wieder zusammenzusetzen. Der Transport Layer übergibt diese Botschaften nun dem Data Link Layer.
Der Data Link Layer ergänzt seinerseits einen Header und einen Trailer, z. B. mit Adressinformationen oder Steuerbits und sendet die Botschaft an den Physical-Layer. Dieser seinerseits serialisiert dann die Daten in der Regel innerhalb des Kommunikationscontrollers, kodiert die Bits und fügt möglicherweise auch weitere Bits am Anfang und am Ende hinzu.
Erst jetzt werden tatsächlich Daten als Botschaft auf dem Bus versendet. Dort haben wir dann die eigentlichen Nutzdaten aus der Anwendung und davor sowie danach eine ganze Reihe von Steuerinformationen aus den einzelnen Protokollebenen.
Für die Frage nach der echten Datenrate ist also nicht nur die Bitrate interessant, sondern auch das Verhältnis von Nutzdaten zu Steuerdaten. Dies zeigt, dass die Nutzdatenrate immer deutlich geringer ist, als die Bitrate. Bei CAN und FlexRay kann man so grob geschätzt nur 50 % der Bitrate für die Nutzdatenübertragung verwenden!