Einfuehrung ODX
Nachdem wir in den letzten Kapiteln gesehen haben, wie die Onboard-Kommunikation und die Applikationsdaten mit standardisierten Datenformaten beschrieben werden können, wenden wir uns in diesem Kapitel den Diagnosedaten zu, für die das Datenformat ODX (Open Diagnostic Data eXchange, ISO 22901) spezifiziert wurde.
MVCI-Server (ASAM 3D-Server, ODX-Kernel) |
Diagnoseprozesskette – Aktueller Zustand
Die Welt der Diagnose ist dadurch gekennzeichnet, dass es sehr viele beteiligte Stellen gibt. Es fängt an in der Entwicklung des Fahrzeugherstellers, der das Fahrzeug entwirft und seine einzelnen Komponenten definiert. Die Entwicklung der Komponenten erfolgt typischerweise bei Systemlieferanten, die in mehreren Musterrunden zusammen mit dem Fahrzeughersteller die Elektroniksysteme entwickeln. Am Ende der Entwicklungsphase steht die Überleitung in die Produktion. Innerhalb der Produktion müssen die einzelnen Elektronikkomponenten, die in das Fahrzeug eingebaut werden natürlich auch getestet werden. Deswegen wird die Diagnose hier innerhalb der Produktion ebenfalls bereits eingesetzt um das Fahrzeug während der Fertigung zu prüfen. Die eigentliche Entwicklung der Diagnose erfolgt typischerweise nicht in der Produktion selbst, sondern mit Hilfe von Diagnosesystemlieferanten, die entsprechende Prüfabläufe definieren bzw. nach den Vorgaben des Herstellers umsetzen. Letztendlich muss noch die Werkstattkette des Fahrzeugherstellers in die Lage versetzt werden, die Fahrzeuge zu warten und Fehler festzustellen. Deshalb muss für den Service ebenfalls ein Diagnosekonzept ausgearbeitet werden. Alle Stellen in dieser Prozesskette arbeiten typischerweise mit unterschiedlichen Werkzeugen, unterschiedlichen Tools und – jedenfalls in der Vergangenheit – auch mit unterschiedlichen Datenformaten sowie unterschiedlichen Diagnosetestsystemen. Als Folge der vielen beteiligten Stellen und der heterogenen Werkzeuge und Datenformate, ergeben sich natürlich erhebliche Probleme bei der Datenweitergabe, bei der Konsistenz der Daten und insbesondere ein erheblicher Arbeitsaufwand.
Die heutige Diagnoseprozesskette ist gekennzeichnet durch einen heterogenen Austausch von diagnoserelevanten Informationen |
Diagnoseprozesskette – Ziel
Die Grundidee von ASAM besteht nun darin, mit Hilfe eines gemeinsamen Datenformats die Datenbereitstellung und die Datenweiterverarbeitung zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.
Die von ASAM vorgeschlagene Lösung dieser Problematik enthält zwei Teile. Man wird sicher nicht in der Lage sein, die Anzahl der beteiligten Stellen zu reduzieren. Ganz im Gegenteil, durch zunehmende Kooperation verschiedener Hersteller wird die Anzahl der Beteiligten sicher noch weiter ansteigen. Aber man kann zumindest für ein gemeinsames Datenformat und damit für eine relativ einfache Weitergabe der Daten von einer Stelle zur anderen sorgen. Das ist die Grundidee von ODX, des „Open Diagnostic Data Exchange“ Datenformats: Eine standardisierte Datenbank für Diagnosedaten, die in einer gemeinsamen Quelle liegt und auf die alle beteiligten Stellen Zugriff haben.
ODX – Austausch von standardisierten Diagnosedaten über alle Phasen des Fahrzeuglebenszyklus – Grundprinzip: Single Source |
Der zweite Teil der von ASAM vorgeschlagenen Lösung konzentriert sich auf den Diagnosetester. Während früher Diagnosetester typischerweise proprietäre Systeme waren, schlägt ASAM vor, einen universellen Diagnosetester mit einem standardisierten Laufzeitsystem zu benutzen, der nicht von jedem Fahrzeughersteller neu programmiert werden muss. Er verfügt über ein standardisiertes Interface auf welches das Fahrzeugdiagnose-Bussystem zugreifen kann und er wird über die ODX Datenbank konfiguriert. Die Idee ist, den Diagnosetester nicht mehr fahrzeugabhängig zu programmieren, sondern einen generischen Diagnosetester über den fahrzeugspezifischen ODX Datensatz einfach zu parametrieren.
Diagnoselaufzeitsystem MVCI nach ISO 22900 (ASAM AE MCD 3D) |
ODX – Was ist das?
Das Datenformat ODX entstand als ASAM Spezifikation unter der Rubrik MCD 2D und ist mittlerweile als ISO 22901-1 standardisiert. Als Austauschformat für alle diagnoserelevanten Daten müssen mehrere Bereiche abgedeckt werden:
- Protokollspezifikation für die Kommunikation zwischen Tester & Steuergerät
- Kommunikationsparameter für ISO/OSI-Schichten und Steuergerätesoftware
- Steuergeräte-Programmierdaten (Flash)
- Beschreibung der Fahrzeugschnittstelle (Steckverbinder und Pin-Belegung)
- Steuergeräte-Konfiguration (Variantenkodierung)
- Erlaubt Übergang von der Dienste-zentrierten zur Funktions-zentrierten Diagnoseentwicklung
Es geht also um das Diagnoseprotokoll (UDS, KWP 2000, OBD) in der jeweils herstellerspezifischen Ausprägung, um die Kommunikationsparameter des beteiligten Bussystems (Transport und Datalink-Ebenen), die Fahrzeugschnittstelle, Steckverbindungen, Pin-Belegungen, Programmierdatensätze für die Werkstatt, Variantenkodierung etc. Außerdem soll ein Übergang von einer Dienste orientierten Diagnose – d.h. eine mehr an den Kommunikationsbotschaften orientierte Diagnose – zu einer funktionsorientierten Diagnose möglich werden. Da es aus Sicht der Werkstatt völlig unerheblich ist, mit welchen Botschaften eine bestimmte Aufgabe erfüllt wird. Eine Werkstattorganisation hat bestimmte Aufgaben zu lösen und dafür versucht man diese Diagnose zukünftig funktions- statt Dienste zentriert zu entwerfen.
Das Ziel ist sicherlich, ODX in Verbindung mit dem generischen Laufzeitsystem einzusetzen, aber in der Einführungsphase wird man ODX sicher zunächst als reines Datenformat für den Datenaustausch zwischen den Beteiligten verwenden.
Anwendungsbeispiele
Im Idealfall wird ODX in allen Projektphasen und bei allen Beteiligten eingesetzt. Beim OEM, bei seinen Zulieferern, in der Produktion und in der Werkstatt.
ODX ist aber auch dann einsetzbar, wenn die Diagnoseprozesskette noch nicht durchgängig auf ASAM Standards basiert, sondern wenn ODX nur als Austauschformat z. B. innerhalb der Entwicklung eingesetzt wird.
Ebenso ist ODX für die Verteilung der Diagnosedaten vom Hersteller zu seinem Händlernetz geeignet.
Vorteile und Nutzen
Den Vorteil und Nutzen beim Einsatz von ODX haben alle beteiligten Stellen. Das fängt an beim OEM, dessen Aufwand sich deutlich reduziert, wenn er nur eine einzige Datenquelle mit einem einheitlichen Datenformat zu pflegen hat, wenn in dieser Datenbank gleichzeitig auch die Verwaltung verschiedener Fahrzeug- und Gerätevarianten erfolgen können und er die Daten nicht bei der Weitergabe an die verschiedenen Beteiligten jedes Mal neu erstellen und verifizieren muss.
Des Weiteren vereinfacht sich die Spezifikation für die Zulieferer und die Dokumentation der Diagnose, denn ODX ist in der Lage beides zu leisten. Es kann als Spezifikation für den Zulieferer dienen, genauso wie als Dokumentation für die zugelieferte Komponente, soweit es die Diagnose angeht.
Beim Zulieferer kann ODX für die Generierung des Diagnoseprotokollstapels eingesetzt werden. Das heißt, statt die Diagnosesoftware nach den ODX Vorgaben zu programmieren kann man mit entsprechenden Werkzeugen aus den ODX-Datensätzen die notwendige Software für den Diagnoseprotokollstapel automatisch erzeugen.
Gleichzeitig können auf Basis von ODX auch die Software-Testsysteme, mit denen der Protokollstapel im realen Steuergerät zu testen ist, automatisch konfiguriert werden. Dadurch werden Softwaretests zuverlässiger, da man über automatisierte Tools direkt gegen die ODX-Spezifikation testen kann.
In der Produktion vereinfacht sich die Entwicklung der Produktionstester, wenn sie auf die ODX-Datensätze zugreifen können. Es ist sichergestellt, dass dieselben verifizierten Datensätze wie in der Entwicklung verwendet werden. Damit reduzieren sich die Anzahl der Fehler und der Gesamtaufwand.
Der Bereich After-Sales profitiert ebenfalls von ODX. Der Aufwand bei der Erstellung und Weitergabe der Diagnosedaten an das Werkstattnetz wird deutlich geringer, da bereits verifizierte Datensätze vorliegen.
Da das Datenformat standardisiert ist, wird der Fahrzeughersteller vom Tester-Hersteller mehr oder weniger unabhängig. Gleichzeitig können standardisierte Datensätze sehr viel leichter als Diagnosetesterprogramme weitergegeben werden. Davon profitieren auch die Werkstätten. So ist es in Zukunft vorstellbar, dass die Werkstatt nicht mehr im Abonnement Softwareupdates für ihren Werkstatttester kaufen muss, sondern sich je nach Bedarf die entsprechenden Datensätze für Fahrzeuge, die aktuell zu reparieren sind, über das Internet herunterlädt.
Durch die Einführung des standardisierten Datenformats sind die Diagnosedaten gleichzeitig in einem frei zugänglichen Format dokumentiert. Damit lassen sich herstellerunabhängige Abgastestsysteme für TÜV oder DEKRA sowie für freie Werkstätten sehr viel leichter entwickeln als mit den heutigen, oft noch proprietären Datenformaten.
Nachfolgend werden alle Vorteile nochmals aufgelistet:
- Zulieferer
- Automatische Konfiguration der Steuergerätediagnosedaten und des Kommunikationsprotokolls
- Automatische Erzeugung der Dokumentation (Steuergerätediagnose-daten = Dokumentation)
- Automatische Konfiguration des Entwicklungstesters zur Überprüfung der implementierten Diagnosedienste
- Maschinenlesbares Format (XML) für den Import in die eigene Diagnosedatenbank
- Kode-Generierung zur Konfiguration des Diagnose Kernels
- Zulieferer
- Fahrzeughersteller – Entwicklung
- Aufwandsreduktion bei der Diagnosedatenerstellung
- Single-Source Prinzip: Alle Entwicklungstester unterstützen dasselbe Format.
- Nur ein Format für den Im- und Export mit der zentralen Diagnosedatenbank
- Fahrzeughersteller – Entwicklung
- Fahrzeughersteller – Produktion
- Aufwandsreduktion bei der Diagnosedatenverifikation – Daten müssen nur einmal verifiziert werden
- Wiederverwendung von verifizierten Diagnosedaten
- Weniger Fehler wegen geringerer Anzahl von Prozessschritten
- End-Of-Line Tester verwenden dieselben Diagnosedaten und denselben Diagnosetester wie in der Entwicklung
- Fahrzeughersteller – Produktion
- Fahrzeughersteller – After Sales
- Einfachere Wiederverwendbarkeit von verifizierten Diagnosedaten
- Geringerer Aufwand bei der Verteilung der Diagnosedaten
- „Abrufen“ von Diagnosedaten via Intranet/Internet vs. „Bereitstellen“ von Softwareupdates auf CD-Rom
- Ein Format für die verschiedenen Diagnosesysteme
- Fahrzeughersteller – After Sales
- Toolhersteller
- Geringerer Aufwand bei der Erstellung von Diagnoseapplikationen durch die Verwendung eines generischen datengetriebenen Ansatzes
- Focus: Diagnose-Killer-Applikationen vs. Bits & Bytes
- Einfachere Wiederverwendbarkeit von verifizierten Diagnosedaten
- Toolhersteller
- Werkstatt
- Wiederverwendung von verifizierten Diagnosedaten
- Tester Konfiguration durch Daten-Download vs. Software Modifikation
- Download nach Bedarf vs. Kauf eines Softwareupdates
- Werkstatt
- Gesetzgeber
- Standardisiertes Format für die Dokumentation der relevanten Diagnosedaten (z.B. DTCs, PIDs, etc.)
- Ermöglicht herstellerunabhängige Scan-Tools und Tools für Service und Instanthaltung
- Erfüllt die Forderung freier Werkstätten auf Zugang zu erweiterten Diagnosedaten
- Gesetzgeber
Zusammenfassung Vorteile
- Wiederverwendbarkeit (Single-Source)
- Erhöhung der Sicherheit, durch weniger Prozessschritte
- Einfache und schnelle Verifizierbarkeit
- Verbesserung der Wartbarkeit
- XML Format: Maschinen- und Menschenlesbarkeit
- Herstellerunabhängigkeit
- Automatisierte Tools zur Konfiguration, Dokumentenerstellung, Kode-Erzeugung etc.
- Generische Erstellung von Diagnoseapplikationen
Risiken der ODX / MVCI Einführung
Bei allen Vorteilen von ODX darf natürlich nicht übersehen werden, dass das Einführen des ASAM basierten Konzepts auch eine Reihe von Risiken birgt.
Zum einen haben die Hersteller bereits heute Diagnosewerkzeuge, Diagnosetester im Einsatz und die Umstellung wird natürlich bedeuten, dass man die alten Systeme nicht wegwerfen kann, sondern dass man sie weiterpflegen muss. Das heißt zunächst einmal entsteht durch ODX keine Kostenersparnis, sondern zunächst einmal entsteht ein Zusatzaufwand. Dann wird man die Umstellung natürlich nicht schlagartig durchführen können, sondern man wird sie schrittweise durchführen müssen. Das bedeutet, zunächst wird man ODX als reines Datenaustauschformat einführen mit Import und Export zu den proprietären Systemen. Dann wird man Zug um Zug die gesamte Diagnosedatenbasis auf ODX umstellen und am Ende wird man erst die standardisierten Diagnosetester einführen. Zu den technischen Risiken kommen natürlich auch noch wirtschaftliche Risiken, denn es ist keineswegs klar, ob ein standardisiertes Diagnosetester-Konzept wirklich für die Hersteller die heute von der Entwicklung von Diagnosetestern und Diagnosewerkzeugen leben ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist. Und wenn die Hersteller das ganze wirtschaftlich nicht erfolgreich umsetzen können, wird das Konzept sterben.
Siehe auch
Einführung in die Anwendungen für Diagnose (ASAM MCD)